Bundesweit leben über 40.000 Familien in der Gewissheit, dass sie ein Kind haben, dessen Lebenserwartung verkürzt ist. Auf ihrem schweren Weg werden die Betroffenen vom Bundesverband Kinderhospiz e. V. begleitet. Dieser bietet mit dem OSKAR Sorgentelefon ab der Diagnose bis in die Phase der Trauer hinein wertvolle Hilfe.

Wenn das Hier und Jetzt am meisten zählt.
Die NÜRNBERGER Versicherung und ihre Stiftung unterstützen das Wirken des Bundesverbands und haben zum Ziel, das Thema Kinderhospizarbeit in die Öffentlichkeit zu tragen.
Er gehört zum Leben und wird doch häufig verdrängt - der Tod
Er gehört zum Leben und wird doch häufig verdrängt - der Tod. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Das Gefühl der Trauer vermischt sich mit Emotionen wie Ohnmacht, Verzweiflung und Schmerz. Besonders schlimm ist es, wenn Kinder und Jugendliche, die ihr Leben eigentlich noch vor sich hatten, gehen müssen. Für deren Eltern, Geschwister und Verwandte, aber auch für das erweiterte soziale Umfeld wie Freunde, Mitschüler, Erzieher, Lehrer, Übungsleiter, Nachbarn - also für alle, die mit dem Kind oder Jugendlichen in Kontakt standen - bricht eine Welt zusammen.
Der Tod wird in unserer westlichen Gesellschaft in der Regel tabuisiert. Umso überraschter war ich, als ich erfuhr, dass mein Arbeitgeber eine Kooperation mit dem Bundesverband Kinderhospiz e. V. eingeht und dabei auch die Angestellten einbinden möchte. Ein soziales und gesellschaftliches Engagement dieser Tragweite hatte ich schlicht nicht erwartet.
Bislang war das Sozialsponsoring der NÜRNBERGER primär an die Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe im Nürnberger Land e. V. im Zuge des Azubiprojekts Reittherapie gekoppelt. Die Besuche, die ich mit verschiedenen Auszubildendengruppen in den vergangenen sechs Jahren im Reittherapiezentrum Lauf-Schönberg machen durfte, waren lehrreich, gleichzeitig ungezwungen und schön. Teilweise sind über die Jahre Freundschaften mit Betreuern und Betreuten entstanden.
Die Aussicht, mich im Zuge der neuen Partnerschaft nun aktiv mit dem Sterben, insbesondere dem Sterben junger Menschen befassen zu müssen, geht mir nahe, löst ein Gedankenkarussell aus.
Ich finde es mutig und wichtig, dass die NÜRNBERGER gemeinsam mit ihrer Stiftung es sich zur Aufgabe gemacht hat, als Partner des Bundesverbands das Tabuthema Tod in die Öffentlichkeit zu tragen. Über die Förderung des Sorgentelefons OSKAR und weitere Maßnahmen kann sie einen Beitrag dazu leisten, dass Familien, die ein lebensverkürzend erkranktes Kind haben und irgendwann dessen Tod verkraften müssen, nicht alleine sind und qualifizierte Hilfe erhalten.

"Es ist wichtig, den Anrufenden zu zeigen, dass wir mit dem Sorgentelefon OSKAR immer da sind und dass wir verstehen, dass es die Hölle ist, das alles durchzumachen."
Per Toussaint, Leiter Kommunikation
Angesichts der Relevanz des Themas und der Vielzahl der individuellen Schicksale ist es für mich ein Engagement, das alles bisher Dagewesene übersteigt und konzernseitig eines besonderen Fingerspitzengefühls bedarf. Mit der Überweisung von Sponsoring- und Spendensummen sollte es für uns in diesem Fall nicht getan sein. Hier ist echter Einsatz gefragt. Vor dem skizzierten Hintergrund wirft das neue Aufgabenfeld für mich als Projektleiterin auch Fragen auf. Fragen, auf die ich keine Antwort finde, die mich beschäftigen und die mitunter beklemmende Gefühle hervorrufen.
Werde ich bei der Umsetzung der geplanten Projekte Kontakt zu todkranken Kindern haben? Und wenn ja, werde ich es in der direkten Interaktion verdrängen können, dass ich es mit Sterbenden zu tun bekomme? Werde ich die richtigen Worte finden, mein Mitgefühl auszudrücken? Wollen die Kinder und deren Angehörige überhaupt das Mitgefühl von Fremden? Wie werde ich es verkraften, vom Tod eines Kindes, das ich kennengelernt habe, zu erfahren? Und wie können Mitarbeitermaßnahmen aussehen, die Sinn stiftend, zum Mitmachen animieren und gleichzeitig nicht psychisch belastend sind?
Auf der Suche nach Antworten ist mir Per Toussaint, Leiter der Kommunikation des Bundesverbands Kinderhospiz, eine wichtige Stütze. Bereits bei unserem Kennenlern-Telefonat versucht er, mir meine Bedenken zu nehmen. Er zeigt mir auf, dass sich die Arbeit von Hospizen für Kinder und Erwachsene deutlich unterscheidet. Während Einrichtungen für Erwachsene den Erkrankten ausschließlich für die letzte Lebensphase offenstehen, setzt die Arbeit von Kinderhospizen viel früher im Krankheitsverlauf an. Ihr systemischer Ansatz bezieht die ganze Familie und das soziale Umfeld der Erkrankten ein. Sie stellen über Jahre ein wichtiges unterstützendes Angebot sicher. Vom Zeitpunkt der Diagnose bis zum Tod und darüber hinaus. Kinderhospize sind ein Ort zum Kraftschöpfen, da sie sich auf das Leben und das Bereiten von Glücksmomenten konzentrieren.



Vom Zeitpunkt der Diagnose bis zum Tod und darüber hinaus. Kinderhospize sind ein Ort zum Kraft schöpfen, da sie sich auf das Leben und das Bereiten von Glücksmomenten konzentrieren.
Mein von Gedanken an Tod, Abschied und Trauer geprägtes Bild von Kinderhospizen, das ich laut einer repräsentativen Online-Umfrage von YouGov Deutschland mit mehr als der Hälfte der Deutschen teile, gerät ins Wanken. Auch die zufällige Begegnung mit einer Mutter, deren Tochter an einer äußerst seltenen Erkrankung des zentralen Nervensystems verstorben ist und die mit enormer Begeisterung und Dankbarkeit über den letzten Aufenthalt der Familien in einem Kinderhospiz berichtet, trägt zu einem besseren Verständnis bei. Allmählich kann ich mir vorstellen, dass dieses bewusste Leben für den Moment, für gemeinsame und schöne Erinnerungen, die Familien das bevorstehende Abschiednehmen ausblenden lässt. Die Schilderung einer fröhlichen Atmosphäre in Kinderhospizen, von Gängen, durch die das Lachen der erkrankten Kinder und ihrer Geschwister schallt, wird greifbarer.
In einem Café in Nürnberg gibt mir Per Toussaint einige Zeit später weitere Einblicke die Arbeit des Bundesverbands Kinderhospiz und des Sorgentelefons OSKAR, das 2015 ins Leben gerufen wurde. "Der Bedarf nach Hilfe war und ist riesengroß. Es ist wichtig, im Krisenfall einen kompetenten Ansprechpartner zu haben und ergänzend Auskünfte zu lokalen Unterstützungsangeboten zu erhalten", erklärt der Experte. Als Leiter der Unternehmenskommunikation hat er regelmäßig Kontakt zu betroffenen Familien. Diese Begegnungen verleihen ihm Antrieb und Motivation: "Es ist ein gutes Gefühl, sich für Menschen stark zu machen, die Hilfe so nötig haben."
So unterschiedlich, wie die Motive und Anliegen der Anrufer beim Sorgentelefon OSKAR sind, so unterschiedlich ist der Gesprächsverlauf. Per Toussaint berichtet von einer Dame, die ihn regelmäßig zum Geburts- und Sterbetag ihres Sohnes kontaktiert und ihm ihr Herz ausschüttet. Alleine durchs Zuhören, durch zustimmende Worte gibt er ihr Kraft für die nächsten Monate. In diesem Zusammenhang lerne ich den Begriff der jahreszeitlichen Erinnerung kennen. "Die Zeit der Diagnose, die Zeit des Antritts der letzten Reise, das sind für die Betroffenen ganz schwere Phasen. Oft haben sie diese mit Bildern aus der Natur gekoppelt, der Apfelblüte oder dunklen Winterabenden. Solche Flashbacks treffen einen aus heiterem Himmel. Deswegen ist es wichtig, dass OSKAR rund um die Uhr erreichbar ist", führt er aus.
Berührt bin ich, als er mir von einer Mutter berichtet, die ihm anvertraut hat, den Flyer des Sorgentelefons neben ihren Hausanschluss gelegt zu haben und dadurch eine große Erleichterung zu verspüren. "Im Moment ist ein Stück Papier genug. Aber irgendwann wird sie anrufen, das ist ganz klar. Das Wissen darum, einen psychischen Rettungsanker greifen zu können, ist für sie und ganz viele Betroffene unglaublich wertvoll. Ich finde es schön, über OSKAR diese Form der Sicherheit zu vermitteln", betont Per Toussaint stolz. Seine an Gewissheit grenzende Überzeugung, die Dame eines Tages, wenn sie die Krankheit ihres Kindes oder dessen Tod nicht mehr alleine verarbeiten kann, in der Leitung zu haben, ist durchaus bedrückend.

Wichtige Aspekte der Arbeit des Bundesverbandes Kinderhospiz sind deshalb auch die Sterbe- und Trauerbegleitung.
Ich frage mich in diesem Zusammenhang, wie viel Überwindung es die Betroffenen wohl kostet, sich fremden Menschen gegenüber zu öffnen und das eigene, schwere Schicksal zu teilen und ob man diesen Prozess in irgendeiner Weise erleichtern kann. Per Toussaint mit seinem reichen Erfahrungsschatz weiß: "Es ist wichtig, den Anrufenden zu zeigen, dass wir mit dem Sorgentelefon OSKAR immer da sind, und dass wir verstehen, dass es die Hölle ist, das alles durchzumachen. Entscheiden, ob und wann sie reden, müssen die Betroffenen selbst. Bei einigen geht es relativ schnell, manche brauchen Jahre, andere nehmen ihre Trauer mit ins Grab."
Wichtige Aspekte der Arbeit des Kinderhospizarbeit sind deshalb auch die Sterbe- und Trauerbegleitung. Denn wenn das Kind von seinem Leiden erlöst ist, bleiben seelisch und körperlich ausgepowerte Eltern, psychisch beanspruchte Geschwister und fassungslose Freunde und Bekannte zurück. Doch ebenso wie das Thema "Sterben von Kindern" hat die Trauer in unserer Leistungsgesellschaft und in unserer zumindest nach außen lustig-fröhlichen Lebensweise kaum Platz. Auch hier gilt es, konventionelle Grenzen zu überwinden und Raum für Mitmenschlichkeit und Anteilnahme zu schaffen. "Es gibt keinen guten Umgang, es gibt keinen schlechten Umgang mit diesem Thema. Wir brauchen Offenheit und Mut in der Gesellschaft, damit wir nicht versuchen, den Tatsachen auszuweichen oder sie totzuschweigen. Es darf keine Ausgrenzung von betroffenen Familien geben. Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft offen ist, dass sie es zulässt, dass das Leben in all seinen Facetten gelebt werden darf, dass sich unsere betroffenen Familien so angenommen fühlen, wie sie sich gerade fühlen", sagt Per Toussaint am Ende unseres intensiven Austauschs. In seinem Gesicht wechseln sich in rascher Folge Nachdenklichkeit, Entschlossenheit und Zuversicht ab.
Seinem Wunsch kann ich mich nur anschließen. Die ersten Erfahrungen, die wir mit dem Thema Kinderhospizarbeit in der NÜRNBERGER gesammelt haben, die vielen Likes auf interne Mitteilungen, bestärkende E-Mails von Kollegen aus den verschiedensten Bereichen, die anregende Diskussion im Rahmen der Mitarbeiterveranstaltung "Bildung um 5" und der zweimal hintereinander in kürzester Zeit geleerte "Wunschbaum für Geschwisterkinder" machen mir Mut, dass wir NÜRNBERGER auf einem guten Weg sind.
Gemeinsam für ein so schwieriges Thema wie die Kinderhospizarbeit einzustehen, kann unser Beitrag zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und der Entwicklung einer Zukunft sein, die wir alle gerne teilen.

"Wir brauchen Offenheit und Mut in der Gesellschaft, damit wir nicht versuchen, den Tatsachen auszuweichen oder sie totzuschweigen."
Per Toussaint, Leiter Kommunikation

Per Toussaint privat
Seit 2017 ist der 50-jährige Familienvater Leiter der Kommunikation beim Bundesverband Kinderhospiz e. V. Nach seinem Studium der Sozialarbeit und Pflegetätigkeit arbeitete er mit Kindern und Jugendlichen, die Gewalt erfahren haben. Auch im Bereich der Spendenakquise sammelte er Erfahrung - als Verantwortlicher für ein Sozialprojekt und Führungskraft im Bereich der Medizintechnik.
In welchem Kontext sind Sie zum ersten Mal auf das Thema Kinderhospizarbeit gestoßen?
Mit 24 Jahren. Da ist mein erster Sohn gestorben. Er war ein Sternenkind. Der Kleine ist nach einer schwierigen Schwangerschaft auf die Welt gekommen und konnte einfach nicht leben. In so einer Situation ist man erst mal komplett neben sich. Ich habe mir dann selbst Hilfsangebote gesucht. Das war eine sehr schwierige Erfahrung, in der ich den Themenbereich, in dem ich heute tätig bin, sehr intensiv kennenlernen musste. Aber auch glücklicherweise erfahren durfte, dass es Wege da heraus gibt.
Wann haben Sie die Entscheidung getroffen sich der Kinderhospizarbeit zu widmen?
Bei dem Medizintechnikunternehmen, bei dem ich zuvor war, das war eine gute Arbeit, die hat mir Spaß gemacht. Aber es ist ein reines Wirtschaftsunternehmen gewesen. Irgendwann wollte ich ganz einfach zurück in den sozialen Bereich. Im Internet bin ich auf den Bundesverband gestoßen, habe mir das durchgelesen und habe gedacht, das ist wertvoll und gut. Dann hat das Ganze noch einmal ein dreiviertel Jahr geruht. Aber ich habe weiter an das Thema gedacht, wollte die Verantwortlichen kennenlernen und habe einfach eine Initiativbewerbung geschrieben. Und jetzt arbeite ich dort in der Unternehmenskommunikation und kann aus allen Bereichen, in denen ich früher tätig war, ein Stückchen einbringen.
Wer oder was gibt Ihnen die Kraft, sich Tag für Tag mit dem Sterben junger Menschen auseinanderzusetzen?
Ich finde, dass der Kontakt mit Betroffenen etwas ganz Besonderes ist. Es ist auf der einen Seite berührend, anstrengend, teilweise sehr bedrückend, niederschlagend. Und gleichzeitig ist es etwas sehr Schönes, etwas sehr Nahes, etwas sehr Lebendiges. Ich freue mich über diesen wertvollen Kontakt. Wenn man einfach da sein und unterstützen kann, das ist wirklich gut. Ganz entscheidend ist, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu sein. Denn ich kann die Kinder nicht heilen. Das zu wissen und sich immer wieder klar zu machen, ist ganz wichtig. Wir können Dinge anbieten, können tatsächlich wertvolle Sachen machen, aber ich kann die Lebenssituation dieser Familien nicht ändern. Große Bedeutung für mich hat auch der Ausgleich. Zu Hause zu sein oder auch Sport zu machen, bewusst die inneren Akkus wieder aufzuladen, das ist ein Riesenthema.
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